gefühle in schriftgröße 12
nervensystem im beta-test
manchmal glaube ich meine poesie endet dort, wo mein englisch beginnt.
als würde ich nur einen finger in das tintenfass meiner vokabeln dippen und hoffen, dass genug dran kleben bleibt, um was daraus zu machen - obwohl ich schon immer mehr gefühlt habe, als ich je in worte packen konnte.
und dann denke ich wieder, come on now
ich hab doch nicht jahrelang mein hirn mit grammatik gequält und das past progressive gelernt, damit ich jetzt behaupte, als wäre da eine unsichtbare sprachgrenze.
für mich. für mein rechte-gehirnhälfte-poetry-dasein.
und trotzdem bleibt mein englisches schreiben irgendwie anders.
immer ein bisschen wie basteln ohne anleitung, und ohne ausreichend kreativität
aber vertraut irgendwo natürlich auch. weil meine welt inzwischen mehr aus anglizismen besteht als aus käsebrot und kindheitserinnerungen. deutsch spreche ich im alltag eigentlich kaum noch.
deshalb hier dieser eintrag, original geschrieben auf deutsch. (normalerweise bekommt ihr hier immer die übersetzung. also heute ein ehre!)
aus respekt vor meinen wurzeln, aus zärtlichkeit für mein mutterland-ich.
möge der algorithmus ihn übersetzen. für mein umfeld. für die leute, die gerade mit mir leben.
möge ich worte finden für das, was ich fühle, ohne dabei an meinen eigenen gedanken zu verzweifeln.
vor drei wochen bin ich nach paris gezogen.
es ist montag, 20:37. die sonne hat sich hinter dem gebäude gegenüber versteckt und brennt nicht mehr auf meine hauswand. die luft, die nun in mein zimmer weht ist kühl, und ich fühle mich ruhiger als zuvor.
in unterwäsche liege ich auf meinem bett, mit einer schale müsli, und dem aufgeschlagenen tagebuch von anaïs nin auf meinem bauch.
ich habe dieser stadt einen neuanfang zu verdanken. einen, den ich noch nicht vollkommen greifen kann. es ist seltsam, die dualität die ich mit jedem neuen ort, dem ich mich öffne, wieder in mir finde. ich brauche die veränderung, und die neue inspiration, und dennoch bin ich überwältigt. von menschen, die ich alle nicht kenne. von supermärkten und lebensmitteln die mir fremd sind, von mir selbst, von der art und weise wie ich es alles so leicht entgegennehme, aber sobald es leise wird - doch wieder ein bisschen traurig bin.
müde vom aufnehmen.
überfordert von mir selbst.
am donnerstag werde ich zweiundzwanzig jahre alt. am zweiundzwanzigsten mai zweitausendfünfundzwanzig. 2 ist meine lieblingszahl, und mein geburtstag ist gleichbleibend mein liebster tag des jahres, auch wenn er mit jedem kommenden jahr an besonderheit verliert.
ich fühle mich nicht mehr so aufgeregt wie ich es früher immer habe. kein mulmiges gefühl begleitet meine letzten tage vor einem neuen jahr, keine vorfreude auf ein großes fest. ich habe mittlerweile ein fest für mein ganzes jahr entdeckt. es nennt sich "living with the mind of an anxious woman". durch so viele höhen und tiefen tragen mich alltag und unscheinbare anlässe, dass ich festtage kaum noch zu unterscheiden weiß. ich nutze sie bloß, um mich von einem beglückenden alltagsfakt zum nächsten zu hangeln, um von mir selbst wegzukommen. von meiner tristen weise. von meinem gleichbleibenden inneren aufwand, ein leben wie die anderen zu führen, mit einem neurodivergenten kopf.
aber keine sorge, das hier wird kein downer-eintrag (auch wenn ich traurigkeit in wahrheit selten wirklich traurig finde. sie ist mehr spiegel als drama. und spiegel sind ehrlich. das liebe ich an ihnen)
ich will auch nicht schon wieder über neuanfänge reden. that ship sailed vor drei wochen. in der weisheit, die aus jenem eintrag entspringt, kann nur herausgelesen werden, dass kein neuanfang, ob groß oder klein, einen einfluss auf meine prädisposition hat. diese hängt an anderen fäden. mein inneres terrain muss ich selbst kultivieren. neuanfänge lassen mich für wenige tage glauben, ich hätte die fähigkeit, mein gehirn aus meinem kopf zu schöpfen, und für ein paar viele sekunden unter kaltem wasser abzuspülen wie spaghetti (eine erfahrung nach der ich mich irrationalerweise schon mein ganzes leben sehne)
neuanfänge pusten mir neue luft in die segel. sie geben mir die chance, teile meiner alten selbst hinter mir zu lassen, auch wenn ich im großen und ganzen die gleiche frau bleibe. ich mag neuanfänge.
aber diese woche geht’s mir nicht ums losgehen. es geht ums bleiben.
ich hab zu oft dinge hinter mir gelassen in der hoffnung, dass das reicht, um frei zu sein.
ich bin losgezogen in neue sprachen, in neue cafés, in neue freundeskreise - und hab gedacht, das wäre beweis genug, dass ich schon längst alles in mir habe, was ich suche.
aber die kunst zu bleiben, sie ist es, die diese neue woche inspirieren soll.
ich habe mittlerweile gelernt, keine unrealistischen erwartungen an mich selbst mehr zu halten. wachstum erfordert zeit und geduld, und geschieht nie (besonders in meinem fall) von heute auf morgen.
symbolische neuanfänge sind sowieso viel wichtiger.
sonnenaufgänge jeden morgen, die einen neuen tag einleiten. ein neuer versuch, bei mir zu bleiben, wenn ich mich fühle, als würde ich entgleisen. neuanfänge aus mühe, aus liebe zu mir selbst. neuanfänge ohne große gestiken oder höchstanzahlen möglicher versuche.
stattdessen lern ich hier in paris gerade folgendes:
ich lerne, wie man auf französisch nach einem ladekabel fragt (meins ist mir kaputt gegangen, don't ask)
ich lerne, enttäuschung nicht direkt in selbsthass umzumünzen,
ich lerne, wangenküsschen zu geben statt umarmungen, und im rush hour-verkehr mit dem fahrrad zu überleben (und zwar knapp),
ich lerne, wo im monoprix die eier stehen und wo man am wochenende live-musik an der seine findet,
ich lerne, wie lang vögel abends wach bleiben und wie viel schöner das ist als doomscrolling,
ich lerne, fehler zu machen in sprachen, statt keine sprache zu sprechen,
ich lerne, meine poke bowl selbst zusammenzustellen, auch wenn ich die hälfte der zutaten nur pantomimisch beschreibe, ich lerne von meinen indischen mitbewohnern, dass man kichererbsen einweichen sollte, statt sie in der dose zu kaufen, und dass schwere wahrheiten sich nicht immer besser tragen lassen, nur weil man sie teilt.
ich lern von spätabendlichen sonnenuntergängen an dunkelgrauen hausfassaden,
wie ich meinen zug in saint-lazare finde,
was „mon choux“ bedeutet,
wann die oma gegenüber ins bett geht,
wie hoch der eiffelturm ist (spoiler: hoch),
wie sehr ich meine camera roll liebe,
wie viel ein zug nach straßburg kostet,
und wie teuer selbstzweifel sein können.
ich lerne, wie viele laternen auf meiner straße stehen und wann sie angehen.
wie lang körper trauma speichern.
wie sehr ich vergesse, wie viel ich in wirklichkeit jeden tag lerne.
ich lern, langsam zu lieben. nicht wegzulaufen. im warmen zimmer zu bleiben. in warmen momenten. bei warmen menschen.
ich hoffe, du bleibst diese woche genau da, wo es sich gut anfühlt.
für mich?
gerade genau hier.
bei mir